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11.10.2008-12.2008


"Gegenwelten" - Bilder von Erwin Pfrang





TEXTEinformation:

Erwin Pfrang, geboren 1951, ist Münchener und hat hier die Kunstakademie besucht. Seit vielen Jahren lebt und arbeitet er in Italien, hat aber noch einen guten Kontakt zur alten Heimat. So finden sich in seinem Werk nach wie vor Bezüge zu Bayern und der hier über Jahrhunderte gepflegten und übermittelten Kunsttradition.
Im Kunstparterre ist ein Bilderzyklus mit Jünglingsakten, entstanden 2007 und 2008 in Sizilien, zu sehen. Die Körper rücken in das Zentrum der Darstellung und sind mehr als früher Portraits der Abgebildeten. Zugleich bleiben sie den~ noch eingebettet in Pfrangs Formenarsenal voller Assoziationen und lassen Rückblicke auf historische, tradierte Bildfindungen zu.
Die für diese Arbeiten beschäftigten Modelle lösten schließlich ein starkes Engagement des Künstlers für das Schicksal rumänischer Sinti und Roma aus, die versuchten, auf Sizilien Fuß zu fassen, aber ausgewiesen wurden. Dazu nimmt der Künstler in dem zur Ausstellung erscheinenden Katalog Stellung.
Arbeiten von Pfrang waren früh ab 1984 in der Galerie Fred Jahn in München zu sehen. Dem Künstler und Herrn Jahn herzlichen Dank für vielfältige Unterstützung.












Gegenwelten

Im Kunstparterre sind 52 Arbeiten auf Fotopapier, zwei großformatige Zeichnungen auf Papier und 10 Bilder aus den Jahren 2007 und 2008 ausgestellt. Dazu aus einem Gespräch mit Erwin Pfrang im Kunstparterre:

Wie konzipiert und entwickelt Pfrang die Arbeiten?

Die Bilder und Arbeiten auf Fotopapieren bereitet er mit Zeichnungen vor, vielen Vorbe­reitungsblättern auf kleinem Format, als klassische Bleistiftzeichnungen. Diese zeigt er meist nicht her, sofern er sie überhaupt aufbewahrt. In der Ausstellung zu sehen sind dagegen zwei Schreib- und Zeichenunterlagen, die er in allen Richtungen aus allen Perspektiven mit allen Mitteln voll schrieb und zeichnete.
Pfrang stellt klar, dass es in den gemalten Bildern nicht um Vordergrund (Person) und Hintergrund gehe. In der Realisierung, im Malprozess, werden „gegenläufige Realitäten als gleichwertig behandelt.“ Es sei eine Begegnung von unterschiedlichen Sehergebnissen. Seine Arbeiten seien auf „Gegensätze und Widersprüche gebaut,“ auf „Stil- und Zeiten-Mix“. Es gehe um „Konfrontation von Naturalismus und Irrationalismus.“ Die insoweit „extremsten“ Bilder seien jetzt im Kunstparterre ausgestellt. Pfrang verweist erläuternd auf James Joyce Werk „Ulysses“. Der Vielsprachigkeit bei Joyce entspreche die Stil- und Bewusstseins-Vielfalt in seinen Bildern.

Zur Technik der Blätter auf Fotopapier: 

Erwin Pfrang macht derartige Arbeiten (und die damit verbundenen Experimente) schon ein/zwei Jahre und wolle sie weiter führen, solange die Sache „beweglich bleibe.“
Die dunkel entwickelten Partien könne man nachträglich anders tonen. Es gebe spezielle Farben, mit denen man kolorieren kann (siehe auch die kolorierten Fotos aus der Zeit vor der Farbfotografie). Die Arbeiten entstünden im Wechselspiel mit Zeit und fortschreitend enger werdendem Bildraum: Tusche und Fixierungsflüssigkeit, mit der die Lichter (Anmerkung: heller hervortretende Flächen) markiert werden, dürfen sich nicht berühren; anderenfalls schwemmt es die Tusche beim abschließenden Spülen unter dem fließenden Wasserhahn weg.
Nicht zuletzt ermögliche diese Technik „bildmäßige“ Arbeiten, nicht nur klassische Zeichnungen. Er denkt, so „dreidimensionale“ Bilder auf Fotopapier machen zu können. Man sollte „Zeichnung und Malerei nicht separieren.“

Zu einzelnen Bildern in der Ausstellung

Die Arbeit „Dritter Zwilling“ aus dem Jahr 2006 gehöre noch zu einer Werkgruppe unmittelbar vor den hier im Mittelpunkt stehenden Arbeiten. Es gehe hier nicht so sehr um einen siamesischen Zwilling, sondern um Zweigeschlechtlichkeit. Er stelle hier zwei Menschen, zwei Köpfe mit einem Körper dar. Musil habe das als den Idealzustand einer Liebes­be­ziehung bezeichnet.
Am Übergang zur aktuellen Arbeitsfolge mit den Zigeunerporträts entstand das Bild „o.T. (Totengedenkbild)“, 2007. Pfrang erläutert: Zuerst habe er eine spezifische Armhaltung eines Kindes gesehen, die er als Zeichnung festgehalten habe. Dann sei die Figur und die Gesichtsform dazu erfunden worden. Hier sei es ein fast negroider Gesichtstypus, der in seinen Bildern schon früher auftauche. Im Ergebnis zeige das Bild eine vermeintlich realistische Figur, die allerdings noch ohne Modell entstanden sei. Parallel zu der Arbeit an diesem Bild habe er die später gemalten Zigeuner kennen gelernt.
Nach Pfrangs eigenem Befinden handle es sich in seinen Bildern um eine Konfrontation, Begegnung, Vermischung aus extremer Körperlichkeit (Menschenfigur, „die Versuchungen der Epidermis“) und als gleichwertig erfahrenen Gegenwelten (keineswegs handele es sich um das altbackene „Sandwich“: Vordergrund und Hintergrund).
Diese Gegenwelten seien unter anderem ein Sammelbecken für alles, was im Laufe eines Malerlebens sich ansammle an ikonographischen Phrasen, Zeichen, Kürzeln, eine Art Buchstabenalphabet, das, ständig sich erneuernd und bereichernd, zu immer komplexeren Lesemöglichkeiten sich füge. Manches sei diesseitig durchaus fassbar, mithin benennbar. Im „Porträt Gigi Tanase“ etwa erkennen wir einen wie aus einem naiven Bild entsprungenen Christus an der Martersäule, in der Rolle des Spötters ein Fähnchen schwingendes Kind aus dem Struwwelpeter sowie eine deformierte Kaffeekanne und einen Pisspott.
Ein Porträt sei für ihn schon immer etwas Besonderes gewesen. Bei der Darstellung wirklicher Menschen „versinke er in der Anschauung des Unausschaubaren“. Er wolle dann als Maler nur „Medium“ sein, Vermittler, Interpret und Instrument. Wichtig sei für ihn, dass ihm die Modelle nahe stehen.
Es gehe ihm beim Malen, sagt Pfrang, „um ausschwärmende, stürzende, sich verkrampfen­de Bewegungsabläufe in der Zeit, die einem Rhythmus folgen wie Musik. Das Auge wandert in solchen Bildern, die Dinge sind in Bewegung. Wenn man sich vom Bild abwendet, weiß man oft nicht, was war.“
„Musik hat einen vorgegebenen Beginn und ein vorgegebenes Ende. Bilder dagegen überlassen es dem Betrachter, wie lange er sich dem Bild verschreibt und es zum Klingen bringt.“

Wolf Otto Bauer

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