KUNSTPARTERRE |
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Bei ihrer Geburt herrschte in der Welt der Kunst die Avantgarde: Kazimierz Malewicz kehrte von seiner triumphalen Europa -Tournee zurück, Le Corbusier schuf seine „Wohnmaschinen”, Mondrian berauschte sich am rigorosen Rhythmus von Linien und Farben auf der Bildfläche. In Polen trugen ein paar Künstler eine der ersten Sammlungen europäischer Moderner Kunst zusammen, die eine öffentliche (städtische) Sammlung war und schließlich 1930 in Łódź, im dortigen Stadtmuseum, landete. Als zehn Jahre später auch Alina Szapocznikow in Łódź landete, war die Sammlung bereits in die Depots verbannt. Einige der Werke waren speziell gekennzeichnet mit der Absicht, sie im Rahmen einer Litzmannstädtischen [wie Łódź ab 1940 nach Einnahme durch die Nationalsozialisten für fünf Jahre hieß – Anm. d Ü.] Ausgabe „Entartete Kunst” vorzuführen und abzuurteilen. Letztendlich fand diese Ausstellung gar nicht statt, aber selbst wenn sie eröffnet worden wäre, hätte Alina keine Möglichkeit gehabt, auch nur ein Auge darauf zu werfen. Da sie zur „degenerierten Rasse” gehörte, wurde sie gekennzeichnet und in ein Ghetto gezwängt. Es herrschten Anhänger einer Reinheitsideologie, die sich gleichermaßen auf die Rasse wie auf die Kunst bezog. Somit wurden Menschen wie auch Kunstwerke an den Rand gedrängt, isoliert, preisgegeben zum Vernichten. Auf diese Weise verwob sich das persönliche Schicksal von Alina zum ersten Mal mit dem der Kunst. Sie trug das Brandmal der unreinen Rasse, später nach dem Krieg dann ein Brandmal der Unvollständigkeit + (im biologischen Sinne der für ihr Geschlecht vorgesehenen Funktionen). So konnte sie sich nicht dem Schaffen von Kunstwerken der formalen Reinheit widmen. Sie hat es durchaus versucht. Doch recht schnell wurde ihr klar, dass man über den Tod nur im Zusammenhang mit dem Leben sprechen kann; der Zerfall wird nur sichtbar angesichts des integralen Ganzen. Und das eine wie das andere sind Domänen der Biologie. Um die Aussage also sichtbar zu machen, muss die Kunst durch Biologie beschmutzt werden – also die Gestalt zergliedert, die Form aufgerissen , das Material gespalten und Dissonanzen in den geltenden Kanon eingeführt werden. Nach Auschwitz kann nichts mehr vollkommen sein. Es sollte aber möglich sein – im Gegensatz zu dem, was Adorno schrieb. So gab es also kein Zurück zum Universum von Malewicz, zum Funktionalismus von Le Corbusier und dem Perfektionismus von Mondrian. Die Welt war zerfallen und die Symptome dieses Zerfalls sollten sich in der Kunst wiederfinden. Aber nicht - wie einst - in universalen Kategorien, sondern ganz und gar in persönlichen; nicht auf der Ebene der Totale, sondern ganz nah am Boden, auf dem Niveau, das als shitting level bezeichnet wird, in der Empfindung des Einzelnen. Und vor allem in Bezug auf die körperliche Befindlichkeit, da der Körper Sitz des Lebens ist. Es bleibt ungewiss, ob die Künstlerin all diese Einsichten bewusst gefunden und in ihren Aussagen artikuliert hat. Vielmehr scheint es, als ob sie sich von selbst, gewissermaßen instinktiv, in ihrer schöpferischen Praxis bemerkbar machten. In den Zeichnungen wird dies manchmal deutlicher als in den ausgeführten Skulpturen. Die Aufzeichnungen der ersten Idee, Linien und Formen, die viel mehr der Intuition der Hand als dem rationalen Verstand folgen, sind erstaunlich „vollendet”. Sie definieren bereits die Gestalt, „mit dem inneren Auge gesehen“, noch vor der physischen Entstehung der Skulpturen. Sie porträtieren nach der Materialisierung verlangende Ideen, zeitgleich heben sie Momente oder aber die neuralgischen Punkte hervor, damit wir nicht nur die Aussage der Skulpturen deuten können, sondern auch die Ursache für ihre Entstehung erkennen. Gerade in den Zeichnungen, in denen „erogene Zonen“ aus den skizzierten Formen hervortreten, zeigt sich die Obsession, welche die Hand dieser schönen Frau geführt hat. Die erotische Eschatologie – das stets angeführte Oxymoron, in dem sich Anfang und Ende des Seins verbinden – prägt die meisten Werke von Alina, insbesondere das gesamte Spätwerk. Es ist nicht allein und nicht vor allem die Zeit des beschleunigten Erwachsenwerdens, abgemessen durch die Namen der Ghettos und Konzentrationslager, die hier zum Vorschein kommt. Diese Erinnerungen und Erfahrungen wurden durch den programmatischen Optimismus der Rückkehr ins Leben verdrängt. Erst der Preis für diese Rückkehr, der Verlust der Chance auf eine biologische Mutterschaft, erlaubte ihr nicht, sich an die Vorgaben der orthodoxen „korrekten“ Moderne zu halten, obgleich diese Moderne – in ihrer rein äußerlichen Schicht, also auf der Ebene des Visuellen der Dinge – sogar in gewissem Sinne die verborgene Transmission jener Symptome der persönlichen, biologischen Unvollkommenheit der Autorin begünstigte. Äußerlich also (und vordergründig) entsprachen die Skulpturen der Szapocznikow aus dieser Zeit hervorragend dem damals herrschenden Paradigma der Moderne. Man sprach von der „Vibration der Modellierung” und „Zergliederung der Form”, als gäbe es keinen Zusammenhang mit der Person und mit dem Leben der Künstlerin. Aber es scheint, dass auch die Künstlerin selbst auf der Suche nach einem integrativen Faktor war, der die Macht des Todes hätte ausgleichen können. In ihrer Kunst der darauffolgenden Jahre pulsiert der Sex. Ähnlich dem Problem der Desintegration bleiben auch die Fragen nach dem Sex in jener Schaffensperiode in einem unpersönlichen Zustand; hinter Begriffen und Formen versteckt, betreffen sie niemanden konkret. Sie kennzeichnen nur die bestimmte, universelle Neigung, die sowohl den Urgrund der Fortpflanzung als auch das eschatologische Ende aus dem Blickfeld rücken ließ. Soweit eine wahrnehmbare Sexualität in den Skulpturen vom Ende der 50er Jahre weiterhin in verschlossenen, zergliederten Formen – wie etwa in „Nike” von 1959 – brodelt, eröffnet sie sich von Mangelerscheinungen geprägt dem Betrachter am Wendepunkt zur nächsten Dekade. Zerbrochen. Hier ist wenig Erotik, aber es besteht – zumindest eine erahnbare – Spur von Sex („Shattered”, 1960). Erotik tritt erst später in Erscheinung, in einem anderen Material. Sie reißt den Stein auf, lädt ein in weich gebettete Vertiefungen, sie exponiert Wölbungen, die Sehnsucht nach Ergänzung und den Versuch, sich zu vereinen. Es ist interessant, dass die Erotik verschwindet, als die Künstlerin den Rahmen der Konventionen verlässt und ihren Arbeiten aus der biologischen Realität, nämlich von Teilen des lebendigen Körpers abgenommene Abgüsse einfügt. An ihre Stelle tritt die Entdeckung der primordialen Verbindung zwischen Eros und Thanatos, was ohne weitere Umschweife zum eigenen „SELBST“ der Künstlerin hinführt. Beine, Münder, Brüste, Fragmente des Gesichts (es kommen auch Abgüsse eines geschlossenen Auges vor), der Körper ist zergliedert, vom Grundsatz her fragmentarisch, nicht komplett. Es sind Stücke, einem Ganzen entnommen, reduziert zu der Funktion eines dem Massenkonsum preisgegebenen “Schnickschnacks“ (gadgets). Aber auch zu einem Gegenstand, einem Fetisch, verstanden als ein verehrtes, verbotenes und (deshalb) begehrtes Objekt, wo die im Material gespeicherte Anwesenheit des Körpers der Künstlerin, also auch dessen biologische Identität, vervielfältigt und in Umlauf gebracht worden ist. Die Kunst hat sich verleiblicht. Die Teile des Körpers der Szapocznikow, jene Brüste, Münder, Beine, definiert als distinktive Eigenschaften, die innerhalb der Gesellschaft als die attraktivsten Geschlechtsmerkmale gelten, auch auf Grund ihrer anerkannten Erogenität, waren ein tautologisches „Zeigen” des eigenen „Selbst” einer Frau, die weiß, dass ihr Körper nicht nur fragmentarisch wahrgenommen wird, sondern auch ä u ß e r l i c h. Das Exponieren ausgewählter Elemente ließ jedoch die von Mangel behafteten Bereiche hervortreten, verwies auf Kategorien wie Integrität und Vollständigkeit, die aus dem Blickfeld gerückt waren. Von diesem Mangel sprechen am lautesten, ja schreien die körperähnlichen Polyester-Rümpfe („Büste ohne Kopf” und „Plongée”), eingebettet in formlosen Falten aus schwarzem Polyurethan, einem toxischen, krebserregenden und unbeständigen Material, in dem auch „Stela” mit ihren entblößten Knien und schwarzbeschmierten Lippen versinkt. Der einzige Körperteil der Künstlerin, der ihr nicht als Matrize oder Vorlage gedient hat, war der Bauch. Der Abguss, in dutzenden Exemplaren vervielfältigt, genutzt, um umfangreiche Kompositionen zu schaffen und letztendlich in Marmor gehauen, wurde vom Bauch einer anderen Frau „abgenommen“. Dies mochte auch Zufall sein, aber was für ein signifikantes Faktum angesichts des Wissens der Künstlerin um ihre eigene Unvollständigkeit, - void - verborgen unter der Bauchhülle. Noch wusste sie damals nichts von dem Brustkrebs, der sich in ihrem Körper eingenistet hatte. Vielleicht anders: eine Vermutung gab es wohl bereits, allerdings noch keine Sicherheit; die Diagnose wurde im Januar 1969 gestellt, die Arbeiten an den Tumoren fingen jedoch bereits zum Ende des vorausgegangenen Jahres an. Es entstanden knotige Formen, überzogen von einer dünnen, durchsichtigen Polyestermaterie, mit ihr vereint und verbunden. In das Gewebe der Wucherungen, welche die Struktur der Skulpturen bildeten, wurden fotografische Portraits der Künstlerin, wie auch von Freunden und Familienmitgliedern, eingearbeitet. Ein Gruppenportrait lebender Personen, vermischt mit denen, die bereits gegangen waren, wurde zu einem Gruppen-Sargbildnis. Die polnischen Sargbildnisse [eine Kunstform, die insbesondere seit der Renaissance unter den polnischen Adligen verbreitet war und im 18. Jh. ihre Blüte erlebte – Anm. d. Ü.] zeigten das malerische Antlitz lebender Personen, unabhängig davon, ob sie zu Lebzeiten oder erst nach dem Tod des Modells entstanden waren. Auf diese Weise sollten die Verstorbenen eine Erinnerung an sie als lebendige Wesen hinterlassen, auch wenn sie bereits vom Tod gezeichnet waren. Die Frage: „Noch lebendig – oder bereits tot“, blieb auf diese Weise offen. In der italienischen Renaissance hatte das Sargbildnis die Form eines Reliefs und wurde auf zweierlei Art geschaffen: entweder machte man einen Abguss vom lebenden Gesicht, den man später so modellierte, dass er den Ausdruck eines toten Gesichtes annahm, man „tötete gewissermaßen das Ebenbild!“, oder aber man machte Totenmasken posthum und „schminkte“ diese, um das Bild etwas lebensechter erscheinen zu lassen. So ließ der Abguss vom lebendigen Körper ihn „ein wenig tot“ erscheinen, das Ebenbild vom Abguss des toten Leibes hingegen zeigte ihn „ein wenig lebendig”. So wurde die Maske zum Spielfeld zwischen den Begriffen: „noch lebendig” – „bereits tot”. Den ersten Abguss eines Gesichts (von Tadeusz Trepkowski) schuf Alina Szapocznikow im Jahre 1954, ohne sich auf die Spielereien der Renaissancezeit einzulassen. Das Modell lebte nicht mehr, und die Maske war ebenso tot. Beinahe gleichzeitig mit der Maske von Trepkowski entstanden zwei Skulpturen, absolute Ausnahmen im Gesamtwerk der Künstlerin: Das „Portrait von Barbara Kusak” (1954/55) sowie das „Portrait von Krzysztof T. Toeplitz” (1955/56). In beiden Fällen lässt die Ähnlichkeit mit einem Modell an vollplastische Abgüsse nach der Natur denken. Aber der Größensprung und das Verwenden von Farbe – der Gips wurde „vermalt” – treibt diese doch realistischen Portraits ins Unechte hinein, indem die Dargestellten weder tot noch lebendig erscheinen. Sie sind fiktiv, der Realität „entnommen“, im Gegensatz zu den parallel entstehenden, konventionell behandelten und wenig realistischen Figuren und Portraits, die materiellgesehen, der Welt der Gegenstände angehören. Dass die Echtheit in der Darstellung durchaus einen künstlerischen Eingriff erforderte, also auf der Kunstebene stattfindet, wird deutlich, wenn man die einige Jahre später entstandene Maske von Jan Lebenstein (1969) betrachtet: obwohl vom lebendigen Gesicht abgenommen, platziert sie das Modell auf der Seite des Todes. Um dieses vom „lebenden abgenommene“, aber „abgestorbene“ Gesicht wieder zu beleben, bedarf es kosmetischer Behandlungen, selbst auf Kosten der Authentizität, wie auch im Fall der bereits erwähnten Portraits von Barbara Kusak und Krzysztof T. Toeplitz. Ohne diesen Kunstgriff würde der Abguss vom Lebendigen paradoxerweise tot erscheinen. Szapocznikow dürfte sich dessen bewusst geworden sein, als die Körperabgüsse zum festen Bestandteil ihrer Kunst wurden. Die ersten Abgüsse von Gesichtsfragmenten („Halbgesichter”, 1964/65) waren nämlich von oberflächlichen „Entrealisierungsmaßnamen“ betroffen, sie wurden verfremdet. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Auftragen weiterer Gipsschichten auf den Abguss die Masken nicht wiederbelebt. Sie bleiben solange tot, bis sie der profanen Sphäre des Alltäglichen enthoben in die Sphäre der Kunst erhoben werden. Deshalb, so scheint es, verband die Künstlerin lange und konsequent die Abgüsse ihrer eigenen Körperteile mit einem abstrakten, meist aus einem anderen Material bestehenden Kunst-Körper. Erst dann gelang ihr, sich selbst „lebendig“ in der Kunst zu verleiblichen und sich in diesem Zustand „festzuhalten“. Anders ging sie den Versuch an, Tumore zu „portraitieren“. In diesem Fall betrifft die Personalisierung ein fremdes Gewebe, dem physische Eigenschaften der Künstlerin verliehen wurden. Der Prozess der Vereinigung der Krankheit mit der Persönlichkeit ihrer Trägerin ist ein Prozess der Verkörperung, der vollständigen Identifikation des einen mit dem anderen. Der Fremdkörper, der im eigentlichen, angeborenen Körper wuchert, durchdringt zugleich das „Selbst” der Künstlerin und wird zu ihrem unabdingbaren, unentfernbaren Bestandteil. Die Geschwulst im Körper von Alina ist ein Teil des Körpers von Alina; die Skulptur des Tumors, versehen mit einem Bild von Alina, ist ein Selbstportrait des neuen „Selbst“ der Künstlerin, das Selbstportrait einer Frau, die von der Krankheit verzehrt und vernichtet wird. Zugleich wird die Skulptur zu einer Aufzeichnung eines bestimmten Stadiums im Prozess der Personalisierung der Krankheit selbst. Nämlich des Stadiums, wo die Geschwulst, bevor sie ihre Trägerin tötet, deren Identität annimmt. Es wird in dem Maße zu ihr selbst, in welchem sie zu ihm wird. Der personalisierte (oder, wie manche meinen, Person gewordene) Tumor hört auf, i r g e n d e i n Tumor, i r g e n d e i n Auswuchs zu sein, sondern wird zu einer einzelnen, sehr konkreten Geschwulst, die besondere, sie von anderen unterscheidende Merkmale besitzt. Die Person gewordenen Tumore werden zu einem vervielfältigten Sargbildnis der Künstlerin – genauso wie einst ihre Selbstportraits vervielfältigt waren. Jene Abbilder, Abgüsse der gesunden Körperteile, sprachen von Unvollständigkeit und dem schon früher erfahrenen und überlebten Zerfall. Die späten Sargbildnisse, die den Kranken mit der Krankheit vereinen, drücken die Unabwendbarkeit des Todes aus. Aber sie repräsentieren ihn nicht. Ähnlich wie in anderen Fällen aus der Kunstgeschichte, zeigen sie ein Modell, das noch nicht tot, aber auch nicht mehr gänzlich lebendig ist, das es noch selbst ist, doch gleichzeitig zu der zerstörenden Krankheit wird. Zeitgleich ist es aber auch ein Sargbildnis der Krankheit selbst, die jetzt besondere, aus der Allgemeinheit herauslösende Eigenschaften annimmt, denn die Krankheit ist von der Identität ihrer Trägerin geprägt. Der Tumor hört auf, irgendein unpersönliches, allgemeines Gewebe zu sein, und wird zur besonderen, individuellen, subjektiven Auswucherung, durch ihr Verschmelzen mit einem sehr konkreten Körper zu einer personalisierten Geschwulst, verschmolzen also mit einer sehr konkreten Person. Es ist, als hätten wir es mit einem Sargbildnis zu tun, das zugleich ein Opfer und seinen Henker zeigt, der das Gesicht seines Opfers hat und während derselben Hinrichtung zum Tode verurteilt worden ist. Die klassischen Sargbildnisse übermitteln ein solches Wissen über das Modell nicht. Hingegen tun es die „Tumore” von Alina Szapocznikow. Betrachten wir diese, wissen wir nicht nur, dass sie in einem ganz besonderen Moment entstanden sind, sondern auch, dass der Tumor, der sich vom Körper seines Opfers ernährt, nur so lange wie sein Opfer lebt. Der Tod des Einen bedeutet das Ende des Anderen. Was bleibt, ist die Kunst. + Nach dem Krieg durchlitt die Künstlerin eine Urogenitaltuberkulose und verlor so die Chance auf eine Mutterschaft
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