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26.09.2020 - 06.11.2020


Florian Meisenberg


"Onehundredfortythousandonehundredsixty hours later"





Hovering in the unchanging air of a single screen, fifteen years of painting hang in simultaneous layers. Streaks of movement cut through at discrete intervals, accompanied by a soft, synthetic keening like a window being wiped in space. In this way, fragmentary glimpses of the layer below are revealed incrementally, like crop circles in a field of growing wheat. The effect is of a dynamic composite, like a subway poster that has been torn off and repasted time and time again, or layers of sedimentary rock tracking backwards through time.

The process is improvised and collaborative, yet the act of creation itself has been reversed. Where traditional painting is additive, these streaks and slashes are subtractions. Their medium is the negative space created by destruction. In fact, a kind of excavation, wherein these paintings and past experiments are unveiled and reanimated in dialogue with ideas from the present moment. The streaks move forward in time but cut backwards, so that all the movements that have ever been made, or are being made now, in this space, exist in parallel like the paintings themselves. The program captures each new movement and stores it within an expanding archive, re-releasing them sporadically across the layers so that they appear as ghosts to the present moment.

Each slash is decisive and subtle, driven by an unseen hand in motion. There is an air of discovery about each one, as if the maker did not know until the moment of creation that this was the mark they would make. Creation requires such repetition, trial and error, imprecision. It demands a spilling over, a willingness to get it wrong and make a mess. Here, these fits and starts are not tidied away. They dangle oddly in the light, flickering in and out of focus alongside the spectral shadows of past motion. There is no final slash, so there is no final painting. Only a steady accumulation of abstraction and complication, challenging when, if ever, an image or idea can be said to be finished.

There is something compelling about these lingering stains, abstracted from the hand or keypad that created them. As if they have been imbued with an enduring life of their own. As if the painting is bleeding out or gazing inwards, probing its own history for answers. Perhaps even setting off across the canvas, determined to become something new. A stain is hopeful. By its frank persistence, a stain implies that the image it supports will endure.


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Florian Meisenberg im Kunstparterre
onehundredfortythousandonehundredsixty hours later


Florian Meisenberg im Gespräch mit Harald Spengler und einem Gast in der Ausstellung am 26.09.2020


HS: Florian, du hast im Netz gepostet, diese Ausstellung sei deine erste Retrospektive. Hat mich gefreut, als ich es gesehen habe. Aufgrund des hier nur begrenzt verfügbaren Raumes, ist das leider nicht ganz zu leisten. Diese Ausstellung bringt mit retrospektivem Blick aber einige deiner Bilder zusammen. Darunter etliche aus Akademiezeiten in Düsseldorf. Die anschließende Werkphase der minimalen Bilder der Jahre um 2015 kommt etwas kurz, ist aber mit dem Katalog http://www.live-leak.com/view?i=366_1344438832, erschienen bei Distanz, 2014, herausgegeben von Uta Grosenick, gut dokumentiert und hinzuzudenken. Wir wollen sehen, ob sich eine spezielle Haltung von dir in der Malerei aufspüren lässt.

FM: Ja, ich meine in so einem wirklich physikalischen Kontext. Ich habe ja zum Beispiel alle Fotos der Arbeiten, ich kann die im Computer zusammenstellen, aber das ist natürlich was anderes auf dem Bildschirm. Ich sehe nun Arbeiten wieder, die ich zum Teil seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen habe. Es ist ein komisches Wiedersehen oder Familientreffen. Klar ist das auch spannend, die Arbeiten gegenüber zu setzen, tatsächlich in einem Raum, um zu sehen, wo man mal war oder was man schon hatte. Was man vielleicht schon entdeckt hat ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein. Aber ich denke, es vermittelt auch meine generelle Haltung der Malerei gegenüber. Diese Liebesgeschichte. Das endlose Experimentieren. Ich denke, da lebe ich ganz eine Polke’sche Natur aus. Vielleicht nicht so alchemistisch, aber vor allem dem Drang folgend das Medium auszuloten und Formen von Freiheit zu erkunden.



HS: Florian, deine Ausstellungen zeichnen sich meist durch ein spezielles Konzept aus, in das du deine Bilder platzierst. Zunächst gab es für diese Ausstellung die Idee, die Wände zu tapezieren. So wie in der Galerie Wentrup in Berlin vor etwa sechs Jahren. Die Tapeten hatten dort ein Muster aus weißen und grauen Quadraten. Ein Motiv, das im Photoshop gebräuchlich ist. Dann änderte sich die Idee und du hast die Wände mit Leinwand belegt. Die Leinwand mit breiten Pinselstreifen in preußisch blau bemalt. Zuvor hattest du am Computer schon einen virtuellen Raum mit diesem Muster geschaffen.

FM: Ja ich habe diese Pinsellasur kreiert, die für mich so eine Art Unterbewusstes ist. Also so ein zusammenhängender Hintergrund, der auch den Charakter der Retrospektive der Ausstellung in sich trägt. Wie so ein horizontales Zeitstrahlkontinuum, das sich über Ecken, Leerstellen, Fenster und Stuck hinweg ausdehnt und nicht mehr aufhört. Ich wollte auch unbedingt, dass dieses auf der Textur der Leinwand stattfindet.

Gast: Was sind das für Farben? Sind das reine Pigmente?

FM: Nein, das sind Ölfarben, die ich verdünnt habe mit Terpentin. In diese Mischung habe ich mit dem Pinsel eingetaucht und auf Haralds alten Lumpen, Handtüchern und Pyjamahosen, abgestrichen. Damit konnte ich den Pinsel halt wirklich trocken auf die Leinwand setzen.



Gast: Warum nicht direkt auf die Wand?

FM: Ich liebe die nicht grundierte Leinwand, das unschuldige Leuchten des Leinwandstoffes, dieses naive Beige, das immer wieder in meiner Arbeit auftaucht. Es verursacht in mir eine Art Schuldgefühl und gleichzeitig eine Verantwortung diesem ‘Verbrechen’ gegenüber. Ich zwinge mich dadurch in einen mental reineren oder klareren Zustand zu kommen.

HS: Insgesamt hat hier im Raum die Leinwand als Material mit ihrer Textur eine große Präsenz. Zum einen in den Bildern selbst. Als Bildträger lässt du sie mal lose als Stoffbahn hängen, mal ziehst du sie wie üblich auf Keilrahmen auf. Zum anderen sind die Wände des Raumes damit bezogen und sie ist der Grund auf dem die Bilder hängen. Deren Unterbewußtsein, wie du sagst.

FM: Ich habe das Gefühl, die Leinwand an sich - das Rohe, naiv und doch bedrohlich, weil leer - war ja immer irgendwie Teil meines Bildes. Und wurde so langsam zum Bewusstsein, Sensibilität und vor allem Ursprung für die Körperlichkeit meiner Malerei. Deswegen sind von Anfang an, also seit dem ersten Jahr in der Akademie ab ca. 2005, die rohen Leinwände in den Bildern präsent. Es ist also nicht ein Stilmittel oder gar ästhetische Entscheidung, sondern für mich das Bewusstwerden des Ursprungs, die Matrix der Malerei sozusagen. Man hat also unheimlich viel Leerstelle, und die war mir von Anfang an genauso bedeutsam, wie die Momente der Verdichtung oder der Ort wo Farbe oder Material sitzt. Ein negativer Bildraum ist also genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger. In dieser Beziehung bekommt die Leinwand auch etwas Metaphysisches, so wie eine Art tieferer Membran, in die man die Form hinein- oder herausarbeitet.

HS: In früheren Jahren hängst du Bildleinwände auch immer wieder als lose Stoffbahn an die Wand, parallel zu klassisch auf Rahmen aufgezogenen Leinwänden. Etwa bei der Textarbeit dort.

FM: Ja, das entstand aus einem Akt der Befreiung, hinaus aus der Starre ihrer klassischen Existenz und Präsentationsform. Es bringt die Malerei zudem weg aus ihrem Tableau, der Plattform des Keilrahmens und treibt sie als eher ephemere Geste in den Raum. Eine lose gewordene Textur auf der Suche nach einem neuen Körper. In dieser freien Erschlaffung liegt ja auch ein gewisser Humor. Eine Art erschlaffter Penis nach der Erektion sozusagen. Allgemein denke ich, dass mein Wille zum Experiment auch immer wieder angetrieben wird von der Starrheit und Schwerkraft des Mediums.



HS: Die vor wenigen Jahren entstandene Bildgruppe mit amorphen Rundformen als “Shaped Canvas”, ist in gleichem Sinn zu sehen?

FM: Ja, das ist analogisch weitergedacht. Hier weniger als Akt der Befreiung sondern mehr als eine Erweiterung im Ausloten möglicher Seins-Zustände.

Gast: Das Bild dahinten mit den Nackten, auf solch einer losen Stoffbahn, finde ich super. Sowas hätte ich mich damals nicht getraut zu kaufen, gar zu hängen.

HS: Jetzt schmückt es als Motiv gar die Einladung zur Ausstellung hier. Seinen Freunden hat Florian gar noch ein Foto der von hinten beleuchtete Version der Einladung versendet. (Foto von Kalin Lindena)

FM: Diese Arbeit ist Teil eines Triptychons. Es gibt also noch zwei andere Bilder dazu. Das ganze Set ist riesengroß und bräuchte eine sehr große Wand. Alle drei gleichermaßen in Öl auf Leinwand gemalt. Die Bilder sind schon in meiner Akademiezeit, während eines London-Aufenthalts, in Peter Doigs Studio entstanden, im Sommer 2007, und markieren einen der extremeren Versuche die Grenzen des Malerischen zu erforschen in diesem Fall ganz ohne Pigment nur mit reinem Leinöl auf die nackte Leinwand gesetzt.



HS: Mich erinnern diese Figuren an alte griechische Vasenmalerei. Und ihre Welt mit Satyren und Mänaden. Bei den Griechen zweifarbig: Rotfigurig auf schwarzem Grund oder umgedreht. Bei dir, Florian, die Figuren in der Honigfarbe von getrocknetem Öl/Fett auf beiger Leinwand. Aber in der sinnlichen Erscheinung und Materialität ganz in Tradition der deutschen Kunstästhetik: Etwa bei Beuys mit dem Fett oder bei den Lackarbeiten von Polke.

FM: 1999 habe ich mich zum ersten Mal an der Universität der Künste beworben. Ich war noch in der 10. Klasse des Heinrich-von-Kleist-Gymnasiums mit einem Leistungskurs Deutsch/Kunst und ich wusste bereits seit Jahren, dass ich Künstler werden wollte. Dann 2004, fünf Jahre nach meiner ersten Bewerbung und nach fünf aufeinander folgenden Absagen, erhielt ich den endgültigen Ablehnungsbescheid der Universität der Künste Berlin, eine Art wissenschaftlicher Nachweis meiner Begabungslosigkeit mit der „Empfehlung“, mich nie wieder zu bewerben. Diesen Brief habe ich vor kurzem irgendwo gefunden. Es scheint mir, dass selbst in diesem für mich dunkelsten Moment ich irgendwie genug Humor und Mut in mir hatte, den Brief bis heute in meinem Herzen zu behalten. Ein Fleck ist etwas, auf das man sich beziehen kann. Ein Fleck ist krankhaft. Ein Fleck ist etwas, um sich daran zu erinnern. Ein Fleck verbrennt das Material, auf dem er sitzt.

Ein Fleck ist eine Zeitmarkierung und repräsentiert normalerweise ein Ereignis oder einen Prozess in der Vergangenheitsform. Ein Fleck ist ein Überbleibsel und ein Abdruck. Ein Fleck bezieht sich immer auf etwas Immaterielles, obwohl etwas ganz Physisches eben diesen Fleck hinterlassen hat. Aber dieses Etwas ist nicht mehr da. Nur der Fleck ist da und der Fleck bleibt. Er bleibt dort auf dem Teppich, auf dem T-Shirt oder Sofa, er bleibt auf der Leinwand und dem Papier. Er bleibt dort, um uns anzusehen und uns an etwas zu erinnern: Dass er einen Zweck hatte und immer noch hat:
T-R-A-N-S-G-R-E-S-S-I-O-N

HS: Du arbeitest gerne in Serien. Jedenfalls suggerieren das schon die Titel der Arbeiten. Von Serie zu Serie tauchen neue Elemente in den Bildern auf. In der Malweise aber auch in den Bildmotiven. Ab und an kommt früher Verwendetes später wieder auf. So weisen beim frühen Bartbild aus der Serie: aristocratic behaviour on administrative level, 2007, die abstrakten Ständer, auf denen die drei Bärte präsentiert sind, bereits ganz auf die spätere minimalistische Phase der NY Bilder.



FM: Ich empfinde mich da wohl am ehesten in der Tradition von Polke, Picabia oder auch Picasso, die in ihrem Schaffen radikale Paradigmenwechsel vollzogen haben und versucht haben das Medium der Malerei experimentell auszuloten und zu erweitern. Diese Positionen interessieren mich wohl am meisten. Aber auch andere Beispiele interessieren mich in der Geschichte der Malerei, wo Maler die sich einem Stil oder Weg hingegeben haben, für einen begrenzten Zeitraum ausgebrochen sind aus ihrer eigenen Architektur, so wie Matisse in seiner Fauve-Phase oder auch Malevich mit den Portraits der Landarbeiter.

HS: Bleiben wir noch bei den angesprochenen minimalistischen Arbeiten deiner Nachakademiezeit in NY. Wir haben hier nur einige wenige in der Ausstellung. Etwa das dort, mit den lichtreflektierenden Flächen auf purer Leinwand. Gehört das kurz zuvor entstandene “Mediterranean Sea against Dandruff ” dazu, das daneben hängt? Das Bildmotiv ist vielschichtiger - aber auch auf ungrundierte Leinwand gesetzt. Und wir haben auch die Arbeit mit schrägen Kanten (Titel einfüfen).

Solch minimale Kompositionen finden sich allerdings auch im ganz neuen Bild, mit der S-Figur, das wir zeigen.



FM: Ja nach der Akademie-Zeit, ich denke zum einen ausgelöst durch den radikalen Sprung nach NY direkt aus der Akademie und vom ‘Student-Sein’ (Ende 2010). Aber auch durch eine Reihe von intensiven persönlichen Erfahrungen habe ich zum anderen den Drang nach einer Klarheit und Einfachheit verspürt, dem ich fast zwanghaft nachgeben musste. So habe ich mich in meiner Arbeit sukzessive immer weiter reduziert und auch den Bildwerdungsprozess immer mehr nach innen verlegt, und so faktisch den Fokus vom Motiv, seiner Komposition und seinen Narrativen (also eigentlich allem was die Bildwerdung und den Prozess des Malens ausmacht) verschoben hin zu einem meditativen, asketischen, eher architektonischen Verständnis von Raum und Licht. Mit diesem neuen Verständnis gab es in dieser für mich unbekannten Welt dann schier unendliche Phänomene und Orte festzuhalten und zu dokumentieren. Vor allem durch die reduzierte minimale Sprache bekam in diesem Prozess jede Geste oder Setzung eine eigene erhöhte Instanz der Bedeutung.

So war die Wahl der Farbe und des Materials und die Art der Auftragung - ob pures Leinöl, dicke weisse Ölfarbe, abgetaped und gespachtelt oder nur leicht mit Terpentin lasiert, die Leinwand sanft durchsetzend oder stark durchblutend - nicht nur bildnerisches Mittel sondern symbolisch aufgeladen. Jede dieser minimalen Gesten und Entscheidungen kam gerade durch ihre radikale Reduktion einer symbolischen Wertstellung gleich.

Es war fast so, wie ein neues, klares vom blendenden Licht der rohen Leinwand erstrahlendes Universum, das ich da innerlich vor mir sah und das es zu erforschen und zu dokumentieren galt. Das oben angesprochene Buch (Liveleak erschienen in 2014 bei Distanz) dokumentiert diese Entwicklung in meiner Arbeit recht schön mit der Dschungel-Serie: Ahem, who is barking in the darkness?, 2010 stellvertretend für die malerische Ekstase während der Akademiezeit und danach der Entdeckung der neuen Welt, die auch einherging mit dem Beginn erster filmischer Arbeiten.



HS: Wir haben hier kleine Bilder von 2010 mit naturalistischen Szenen, a la Rousseau, neben eine Arbeit aus 2019 gehängt. Denn das neuere Bild zeigt wieder so eine surreale Bildwelt. Und knüpft an die Frühere an, aber im Format größer. Jetzt beleben einige Früchte mit phantasievollen Gesicht die Szenerie. Erdbeere, Birne, eine grüne Beere. Nur die Karotte passt nicht ganz dazu.



FM: Das ist doch eine Banane, keine Karotte! Ja, es kann sein, dass es so ausgeschlagen hat oder so. Aber ich glaub, dass diese Reihe von Bildern Ahem, who is barking in the darkness?, 2010 damals im vielleicht schwierigsten Moment des Künstlers Werdens entstanden sind, am Abgrund der Akademie, also kurz vor meinem Abschluss im Sommer 2010. Alle 10 Bilder der Reihe sind in diesem Zeitraum entstanden und ich habe übrigens bisher noch keine der Arbeiten ausgestellt oder verkauft. Die gesamte Serie habe ich Anna (Anmerkung: Anna K.E.) gewidmet, und sie war gleichzeitig auch mein Abschiedsbrief und Abgesang auf die Kunstakademie Düsseldorf, und meine sechs Jahre dort.

Ich habe mir da eine tiefe meditative Art malerischer Ekstase erlaubt, die dann noch weit in die postakademische Zeit hinein Früchte getragen hat. Oder sich fortgepflanzt hat in andere Bilder, weil das ja irgendwie auch eine andere Art von Intensität ist. Auch, weil alle sehr kleinformatig sind und vor allem wohl auch in der Art, wie ich gemalt habe.



Wenn ich die Bilder jetzt ansehe, finde ich, sie erinnern stark an indische Miniaturen. Es ist so diese Gefühlswelt, die Atmosphäre, die ich darin am meisten ausmache bzw. womit ich sie verbinde. Es ist die Intensität dieser Figuren, dieser Miniaturen - und ist irgendwie freier, offener, aber auch klar miteinander verbunden. Deswegen haben wir sie hier auch so platziert, damit man die Verbindung sehen kann. Die Arbeit ist schon vor zwei Jahren entstanden - die anderen vor zehn Jahren.

HS: Mich erinnert übrigens eher das grosse gelbe Tuch aus der Serie: Democracy needs monogamy, 2011, an Indien, als die Dschungelbilder. Da denke ich eher an mittelalterliche Buchmalerei.



FM: Ja, das ist auch miteinander verbunden: durch die Dimension, im daraus resultierenden Kompositions-Verständnis, aber auch dass sie meistens Illustrationen sind, also Text bebildern. Und, dass kleinere Bilder immer eine andere Form der Intensität in sich tragen. Es ist so ähnlich, wenn man auf einem aufgeblasenen Ballon malt und diesem dann die Luft ablässt. Alles schrumpft dann zu einer Art Essenz seiner selbst.

HS: Eigentlich wollten wir ja noch ein früheres ‚Insektenbild‘ in der Ausstellung haben, aber das hat Corona-bedingt jetzt nicht den Weg aus Frankreich hierher geschafft.

Gast: Ja, das ist ein tolles Bild. Das mit den Haufen. Schade, es nicht da zu haben. Das Bild ist super. Ein ganz frühes Bild.



FM: Das hätte ich gerne gezeigt, denn es wäre ein schöner Gegenpol zu den eher reduzierten Arbeiten aus der Akademie Zeit. Denn dieses Bild markiert die andere Seite meines Spektrums durch malerische Verdichtung und zeigt eine Gruppe Insekten in höchster Ekstase.

HS: Gegenüber der Vorphase, der minimalen Bilder, hat sich deine Bildwelt neuerlich verändert. Die Jüngsten zeigen fast surreale Welten. Da sind unter anderem Elefanten, Pilze, Perücken und Früchte zu erkennen. Hat das damit zu tun, dass du Vater geworden bist?

FM: Ich denke durch die zufällige Paralelität der Ereignisse des Vaterwerdens und die Entwicklung der Corona-Pandemie entstand in mir ein spezielles Bewusstsein: Wenn wir nicht in der Lage sind physisch zu reisen, muss man nach innen reisen. Langsam über den Punkt des Bewusstseins und der Kontrolle hinaus kriechen, an dem man den Fokus verliert, bis Ego, Bilder und Erinnerungen in sich selbst verschwimmen und zu einer hellen Schwingung überbelichtet werden. Um dem, was wir uns selbst nennen, die Ernsthaftigkeit zu entziehen. Dies ist der Moment, in dem alles möglich ist: neue Formen, exotische Gerüche, vergessene Formen und alternative Bedingungen.



Gast: Florian, arbeitest du eigentlich noch in anderen Medien? Darf man das fragen?

FM: Das war immer eine Thematik für mich, weil ich vor dem Akademiestudium Mediendesign studiert habe. Zwei Jahre von 2000-2002 und habe ein Diplom in Mediendesign gemacht. Da habe ich Photoshop, Freehand, Quark Express usw. gelernt und wir haben in Teams Webseiten gebaut, es gab Programmierer, Designer, Projektmanager. Das Diplom erhielten wir genau als die Neue Media Bubble platzte und so hatten alle anstatt des Traumjobs ein unbezahltes Praktikum in einer Werbeagentur. Ich bin natürlich sehr froh darüber. Diese 2 Jahre waren dennoch sehr wichtig für mich und haben vor allem die Basis für meine Faszination am Computer und den digitalen Medien gelegt, eine Faszination für die Offenheit, für eine Unendlichkeit des Raumes aus künstlerischer Sicht. Danach kam die Malerei mit dem Studium in Düsseldorf.

Gast: Florian, noch zum Medialen bitte. Es gibt dieses Video mit der Katze von dir. Darin streichelt jemand durch das Fenster eine Katze. War das eine Katze? Dieses Video war für mich der AHA-Effekt. Wo ich begriffen habe, das ist ja Fake, denn du hast die Scheibe ...

FM: ... und die Berührung findet nicht statt. ...

Gast: Das ist es, genau das!



FM: Dieses Video drückt da was sehr Zentrales aus. Das Video setzt in den Moment ein, wo ich eine Katze hinter einer Scheibe eines DELIS in Bushwick NY, anfange sie zu streicheln, also die Scheibe, aber die Katze trotzdem irgendwo darauf reagiert, also auf das was sie denkt, das sie gerade erfährt, ohne dass sie wirklich berührt wird. Und man sieht ja auch hier an der Pose der Katze, dass sie sich so hingibt, in der Geste, und völlig darin aufgeht aber eben doch nie berührt wird. Und das reflektiert, glaube ich, ganz passend das Potential aber auch die Problematik des digitalen Raumes.

Gast: Das Künstliche. Du sagst ja “Verlust” und das ist so. Man hat ja Verlust, wie sagt man, an unseren Sinnen. Unsere Sinne sind eindimensional. Wir können nicht mit allen sechs Sinnen am Computer sitzen. Und das finde ich wirklich spannend. Ich habe lange gebraucht, das zu begreifen.

HS: Ich habe dich immer als Maler wahrgenommen. Aber gerade in deinen Ausstellungen kommen beide Elemente zusammen. Eine mediale Komponente und die Malerei, für die du gerne ein spezielles Umfeld gestaltest. Etwa in der Ausstellung bei Wentrup vor fünf Jahren. Zusätzlich zu den tapezierten Wänden hattest du im Raum an Ständern Screens platziert, wo Videos liefen. Diese zeigten dich, wie du auf beschlagenen Glasplatten mit dem Finger zeichnest. Aber auch in der Wanderausstellung ‘Junge Malerei in Deutschland’ im vergangenen Jahr. Florian, du hast an jedem Ausstellungsort eine spezielle Installation dafür gemacht. Jeweils mit einer Wandtapete und darauf deine Bilder platziert. Sehen wir uns das im Fall von Wiesbaden bitte genauer an. Eines der beiden Bilder, das größere Bild davon, das letztes Jahr dort war, zeigen wir auch hier. Und haben dazu ein Foto mit deiner Installation vom Raum in Wiesbaden hier ausgelegt. Der Raum damals eine Rotunde, ein kleines Pantheon. Du hast dafür am Computer eine Tapete, mit Motiven aus dem Bild entwickelt. Die Tapete ist ein Echo des Bildes sozusagen. Das Bild vervielfältigt sich in den gesamten Raum. Da kommen genau die zwei Dinge zusammen, Malerei und das Arbeiten in den Ebenen des Raumes. Verständlich, wenn du vorher Mediendesign gemacht hast.

FM: Dort habe ich, wie so eine digitale Fortsetzung auf der Wand, vom Bild auf die Tapete weitergearbeitet. Zusätzlich hatte ich noch eine Arbeit, auf der linken Seite zur Tür gesetzt, wo eigentlich die Malerei sehr klein ist und sich dann fortpflanzt auf die gesamte Wand. In diesem Fall ist es fast wie ein virtuelle Fragmentierung des ursprünglichen Bildes ins Architektonische hinein. Ein verzerrtes Echo, das sich in den Wänden des Museums reflektiert. Es wird also abstrahiert aber eben auch erweitert. Hier stellt sich die Frage ja auch wieder nach der Erlebbarkeit oder der Sinnlichkeit des Virtuellen und der Unterscheidung zur Realität des Ausgangs Bildes als Malerei. Original und Reproduktion oder Vervielfältigung spielen da natürlich mit hinein zur Frage nach Autorenschaft.



HS: Malen – Bild – Computer – Photoshop. Malerei und Fotografie in Reflektion. Man sieht beim gemalten Bild noch die Materie. Das Foto auf der Tapete ist glatt, schon fast ein bisschen virtuell wie am Computer. Gerhard Richter hat häufig aus bestehenden Fotos seine Bildmotive heraus entwickelt/destilliert und gemalt. Danach das Gemalte fotografiert und wieder zum Foto werden lassen. Er äußerte dazu, der Prozess des Malvorganges sei wichtig und muss sein. Wie ist es bei dir? Du startest nicht mit einem Foto, soweit ich weiß. Aber du arbeitest mit den Fotos von deinen gemalten Bildern weiter. Jedenfalls am Computer, wenn du daraus Wandtapeten entwickelst. Und schon von deinem Werdegang her, bist du in beiden Welten zuhause.

FM: Es stellt doch auch die Frage, was im digitalen Raum wirklich darstellbar ist bzw. was da gerade verloren geht: Vor allem in der Hinsicht Substanz und im Gegenteil, was Malerei eigentlich ausmacht? Also das sind die Fragen, die das dann eigentlich mit sich bringen.
Bei Richter ist das Arbeiten mit Photographie ja Teil der Bildwerdung oder des Entstehungsprozesses von Malerei, hier aber auch vor allem hinsichtlich der analogen Photographie. Bei mir ist es eher so eine Art digitale Postproduktion. Wenn in Photoshop, durch Bildbearbeitung, also Weiterverarbeitung etwas Neues entsteht. Der Unterschied zu Richter liegt wohl vor allem im Verwenden und Ausloten von Malerei im digitalen Raum. Das fließt dann natürlich auch wieder in die Malerei zurück. Obwohl ich die Malerei immer wieder auch im Digitalen teste, ist sie letztlich mein Ausgangspunkt. Die Schwerkraft meines gesamten Schaffens.
Ein gutes Beispiel für diese Verbindung meiner verschiedenen Interessen, ist das Online-Projekt das wir im Zusammenhang mit und für die Ausstellung im Kunstparterre produziert haben.

http://www.onehundredfortythousandonehundredsixtyhourslater.net/

Sie trägt den Titel der Ausstellung, und greift faktisch auf alle meine Bilder die ich seit 2005, also dem Beginn des Studiums gemalt (und dokumentiert) habe. Man kann per Maus oder auch intuitiv mit dem Finger auf dem Smartphone die Bilder miteinander vermischen, freilegen, kopieren und verschütten, das sind alles Filter und Tools die aus dem Photoshop abgeleitet sind.
Die Webseite speichert alle Swipe und Maus-Gesten der User und wendet diese immer wieder auf die Website an, dadurch ruht die Bildbearbeitung nie und es entsteht eine Roadtrip Reise durch mein gesamtes Malerisches Oeuvre.



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