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"Aus Lust am Schauen und Diskutieren"

Handelsblatt
21/22.01. 2011, Nr. 15

Bettina Beckert
München


Überraschung und Dialog sind Programm. So mancher Empfänger mag sich 2010 über eine Einladungskarte von Kunstparterre, dem privaten Kunstverein in München, gewundert haben. Ein dreigeteilter Briefbogen zeigte auf jedem Drittel die Signaturen von Andy Warhol (1928-1987), Henri Matisse (1869-1954) und Andreas Hofer (*1963). Eine krude Mischung, könnte man meinen. Doch Vereinsgründer und -vorstand Harald Spengler und sein Künstler-Kurator Andreas Hofer wollten auf eine jeweils starke Persönlichkeit mit singulärem Werk und eigener Handschrift hinaus. Was die Gemeinsamkeiten sind, sollte jeder Besucher selbst herausfinden. Beim Schauen und Vergleichen, beim Nachdenken und im Dialog.
Vor sieben Jahren hat der leidenschaftliche Kunstsammler Harald Spengler den privaten Kunstverein im Parterre seines Wohnhauses mit anderen kunstbegeisterten Privatleuten gegründet. „Wenn man sammelt, finden viele Dinge nur im Kopf statt“ – mit Kunstparterre sollte sich das ändern. Mit zwei Ausstellungen pro Jahr lassen sich hier Sehgewohnheiten auf den Kopf stellen, lässt sich Neues ausprobieren.
Spenglers Triebfeder ist der Wunsch, künstlerische Positionen auszuloten und in der intensiven Auseinandersetzung mit Vereinsmitgliedern, Künstlern und Besuchern mehr über das eigene Kunstverständnis herauszufinden.
Im Zentrum stehen, wie Harald Spengler betont, singuläre künstlerische Persönlichkeiten. Kunstparterre ist ein besonderer Raum. Er macht keinen Hehl daraus, dass er ein ganz privater Ausstellungsraum ist. Gleich im Entree wird der Besucher von einem frech grinsenden Jungen empfangen. Ihn hat die Münchener Künstlerin Anke Doberauer auf die Wand gemalt. Gegenüber kommt ein Doberauer’scher Mann die Treppe herunter. Beide Wandgemälde sorgen für erste Irritationen und für einen, wie es Spengler nennt, „aufgeladenen Raum“.
Wer steht hinter Kunstparterre e.V.? Viel verrät Spengler nicht über seine Mitstreiter: Es ist ein kleiner Kreis „von fünf bis zehn mir sehr nahestehenden Leuten“. Denn ein enger Austausch über die Kunst sei nur in einer sehr persönlichen Struktur möglich. Außerdem laste die Arbeit so auf mehreren Schultern. Mindestens einmal pro Jahr publiziert der Verein einen anspruchsvollen Katalog mit Texten von namhaften Experten. Ein zeitaufwendiges und kostenintensives Engagement. Im bürgerlichen Leben ist Spengler Bauingenieur. Er ist bestens über die aktuelle Kunstszene informiert, geht in Künstlerateliers ein und aus. „Nur wenn man Dinge sieht, ist ein Austausch möglich.“ Der breitschultrige, hochgewachsene Mann wirkt sehr zurückhaltend. Er stellt die Kunst, nicht seine Person in den Vordergrund. Und dann lässt er sich doch entlocken, wie seine Liebe zur Kunst Formen annahm.
Bereits als Kind im fränkischen Erlangen interessiert sich der heute 52-Jährige für historische Architektur; die Besichtigung des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald öffnet ihm auch die Augen für die Malerei. Seitdem haben Bilder einen immensen Einfluss auf sein Leben. Die Ausstellung „Zeitgeist“, die 1982 im Berliner Gropius-Bau unter anderem die Neuen Wilden und die Transavanguardia zeigt, wird zum Schlüsselerlebnis. Hier entdeckt Harald Spengler neben anderen den Künstler Sigmar Polke.
Vom Kunstvirus infiziert, erwirbt der Kunstnovize beim Urgestein der Münchener Galerieszene, bei Fred Jahn, sein erstes Werk von Gerhard Richter. Es wird nicht das einzige von Richter bleiben und ist der Grundstock einer außergewöhnlichen Sammlung zeitgenössischer Kunst ab 1960.
Dialogbewusst wie er ist, ergänzt Spengler die Zeitgenossen geschickt mit Werken der früherer Generationen. Eine spanische Holzfigur des „Heiligen Sebastian“ (16. Jahrhundert) kontrastiert in einer Ausstellung mit stark farbigen Abstraktionen von Franz Ackermann. Das Thema „Menschlicher Körper“ spielt in der Alten wie in der zeitgenössischen Kunst eine wichtige Rolle, etwa bei der Gipsfigur eines verinnerlichten „Knieenden Knaben“ von Georg Minne aus der Schweinfurter Sammlung Schäfer.
1987 sieht der wissbegierige Privatsammler auf einer Kunstmesse in Madrid ein Werk des amerikanischen Konzeptkünstlers Lawrence Weiner. „Die Arbeit ging mir nicht mehr aus dem Kopf, sie kam mir regelrecht komisch vor.“ Heute ist er eng mit Weiner befreundet und besitzt mehrere Arbeiten von ihm.
Die erste Ausstellung im Kunstparterre 2003 galt den in Deutschland nur selten gezeigten „Meat Pieces“ und Acrylarbeiten des Amerikaners Paul Thek und von dessen Lebensgefährten, dem Fotografen Peter Hujar. Es folgten Ausstellungen von Al Taylor, Franz Ackermann, Eberhard Havekost und Lawrence Weiner.
Immer wieder bringt Kunstparterre Künstler zusammen – auch mal aus verschiedenen Jahrhunderten. So waren die Papierarbeiten des Schweizers Rémy Zaugg (1943-2005) zusammen mit Tuschzeichnungen des Münchener Künstlers Franz von Kobell (1749-1822) zu sehen.
Für Künstler ist der Raum, der eine ganz andere Ausstrahlung hat als der institutionelle „White Cube“, der klassisch weiße Galerieraum, Herausforderung wie Inspirationsquelle. „Manchmal kommt auch ein neuer Werkprozess in Gang“, so Spengler ein bisschen stolz.
Eberhard Havekost beispielsweise schuf für die Ausstellung „The Unseen – Bilder von Eberhard Havekost im Dialog mit Objekten von Gerhard Richter“ 2008 die Bildserie „Unseen“. Havekost nimmt in diesen Bildern von liegenden Papstfiguren und einem leeren Hotelbett Bezug auf das katholische München und die Räume im Kunstparterre.
Derzeit bespielt der tschechische Künstler Pavel Büchler die Ausstellungsetage. In einer poetischen Formensprache verweist er in seinen Objekten und Installationen aus Fundstücken und ausrangierten Alltagsgegenständen auf Moderne Kunst, Film und Literatur und „umkreist seine Themen fast wie bei Kafkas ,Prozess’“, so Harald Spengler.
Ideen für zukünftige Ausstellungen gibt es eine Menge. Harald Spengler denkt seit einigen Jahren über eine Schau mit den Neuen Wilden Walter Dahn und Jirí Dokoupil nach. Nur Arbeiten aus der Mitte der 80er-Jahre, ein Test: „Ein Wiedersehen, ganz unvoreingenommen und die Frage ,Wie finde ich das heute?’.“
Ein anderes Projekt könnte die eindringlichen Porträts und Landschaften des Expressionisten Josef Scharl mit den großformatigen, pastos gemalten Werken des 1966 geborenen Armeniers Armen Eloyan zusammenbringen. „Das Kunstparterre folgt einer strikten Regel: Es ist sehr privat, eher eine Art Salon und darin sehr konsequent. Der Genuss und Diskursanspruch ist hier primär,“ so charakterisiert Julian Heynen, künstlerischer Leiter für besondere Aufgaben der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, den einmaligen Ort.
Heynen kennt Harald Spengler und das Kunstparterre seit mehreren Jahren. Heynen betont die Ernsthaftigkeit des Sammlers, der sich ganz auf die Kunst konzentriere. „Das Besondere am Kunstparterre ist die Stringenz. Selten ist ein privates Projekt dieser Größe auf so einem hohen Niveau.“ Das schätzen viele Kuratoren, Museumsmacher und Künstler.
Ausstellungsideen entstehen auch mal spontan, Spengler und Co. lassen sich gern mal auf Experimente ein. So brachte der Maler Andreas Hofer vor der eingangs erwähnten Ausstellung zu einem Vorgespräch eine Tüte voll mit Katalogen von Andy Warhol mit, von dem er sich kurz zuvor eine Ausstellung angesehen hatte. Im Gespräch entwickelten Spengler und Hofer dann die Idee zu der kühnen Kombination von Matisse und Warhol mit Hofer: viel Gesprächsstoff im Verein und mit den Besuchern.

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